„Enteignet“ die EZB die Sparer?
18. Mai 2015 (aktualisiert am 25. August 2021)
Geht die Niedrigzinspolitik der EZB zulasten der Sparer? Meist lautet der Vorwurf so: Die Zentralbank hat den Leitzins so stark gesenkt, dass die Menschen für ihr Erspartes von der Bank keine Zinsen mehr erhalten. Kredite werden durch niedrige Zinsen für Schuldner günstiger, während für die Gläubiger unter dem Strich kaum noch etwas übrig bleibt. Schuld daran ist die Zentralbank. Eine Studie stellt das nun klar
Die Studie zeigt, dass nicht die Zentralbank die realen Erträge der Sparer – also nach Abzug der Inflationsrate – auf längere Sicht bestimmt. Die reale Verzinsung von Geldanlagen hängt mittelfristig vielmehr davon ab, wie erfindungsreich eine Wirtschaft ist und wie jung die Bevölkerung des zugehörigen Landes, wie gut die Straßen und die sonstige Infrastruktur sind, wie flexibel der Arbeitsmarkt und wie wachstumsfreundlich die Politik der Regierung ist. Es ist die Realwirtschaft, die reale Erträge erwirtschaftet. Die Zentralbank unterstützt dies, indem sie Preisstabilität gewährleistet, schreiben die Autoren Ulrich Bindseil (EZB), Jörg Zeuner (KfW) und Clemens Domnick (KfW). Würde die EZB absichtlich eine unangemessene Geldpolitik festlegen, könnte das die Wirtschaft zusätzlich bremsen und damit auch die langfristigen Ertragsaussichten für die Sparer eintrüben.
Für alle Sparer im Euroraum ist die wirtschaftliche Schwäche im Euroraum und das damit verbundene niedrige Zinsniveau ein ernstes Thema. Geringe Erträge bedeuten, dass es viel länger dauert, eine bestimmte Summe anzusparen. Vielleicht muss der Kauf des neuen Autos aufgeschoben werden, oder es muss mehr auf die hohe Kante gelegt werden, um im Alter die gleiche private Zusatzrente zu bekommen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht, wie hoch die nominale Verzinsung der Geldanlagen ist. Viel wichtiger ist, wie viel die Ersparnisse nach Abzug der Geldentwertung durch Inflation einbringen. Auf diesen Unterschied weisen die Autoren der von der EZB veröffentlichten wissenschaftlichen Studie „Critique of accommodating central bank policies“ hin. Sie erläutern, dass die Zentralbank zwar die nominalen Zinsen beeinflusst – also die Zinsen vor Bereinigung um die Inflationsrate. Die für den Sparer entscheidenden realen Renditen hängen jedoch von realen Faktoren, wie Innovation, Demografie und Arbeitsmärkten ab, schreiben Bindseil, Zeuner und Domnick.
Nur auf kurze Sicht – für ein bis zwei Jahre – ist ein begrenzter Einfluss der Geldpolitik auf die realen Renditen denkbar. Doch diese kurze Frist ist für die Mehrheit der Sparer nicht ausschlaggebend. Auf längere Sicht ist eine restriktive Geldpolitik in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche und niedriger Inflationsraten sogar schädlich für die Sparer, da die Wirtschaft zusätzlich geschwächt wird und damit auch ihre Fähigkeit, höhere reale Renditen zu erwirtschaften. Mit anderen Worten: Nicht jede Zinserhöhung ist gut für die Sparer. Zu hohe Zinsen in wirtschaftlich schlechten Zeiten können dazu führen, dass die Sparer für kurze Zeit etwas mehr Geld erhalten, dafür aber langfristig umso mehr verlieren.
Eine schlechte Geldpolitik könnte Instabilität und Störungen in der Wirtschaft auslösen, heißt es in der Studie. Eine gute Geldpolitik schafft hingegen eine der Voraussetzungen für nachhaltiges und stabiles Wachstum. Sie kann jedoch auf mittlere und längere Sicht nicht die realen Kapitalrenditen beeinflussen. Und selbst wenn sie es könnte – das Mandat der Europäischen Zentralbank verpflichtet sie zur Sicherung der Preisstabilität. Um dies zu erreichen, strebt die EZB eine jährliche Inflation von 2 % an.
Was geschieht, wenn eine Zentralbank sich von diesem Ziel verabschiedet und ohne Rücksicht auf Inflation und Zustand der Wirtschaft eine unangemessene Geldpolitik festlegt, lehrt die Geschichte, warnen die Autoren der Studie. So hat die Deutsche Reichsbank in und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg trotz des kriegsbedingten Nachfrageschocks und steigender Inflationsraten an einem viel zu niedrigen Leitzins festgehalten. Die Folge war Hyperinflation. Deutschland kennt aber auch den umgekehrten Fall: Zu Beginn der Dreißigerjahre erhöhte die Reichsbank die Zinsen trotz einbrechender Wirtschaft und stark sinkender Preise. Die Folge war eine Abwärtsspirale und eine Verschärfung der Depression.
Den Ausweg aus der Phase geringen wirtschaftlichen Wachstums und daraus resultierender niedriger Verzinsung der Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger kann nicht die Geldpolitik weisen, schließen die Autoren Bindseil, Zeuner und Domnick. Sie schlagen unter anderem vor, die Anreize für Forschung und Entwicklung zu erhöhen, für bessere Bildung zu sorgen, Zuwanderer schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren und die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu verbessern. Eine solche wachstumsfreundliche staatliche Politik kann die Realwirtschaft stärken. Nur so wird ermöglicht, dass die Bürgerinnen und Bürger des Euroraums wieder mit höheren Erträgen ihrer Spareinlagen rechnen können.
Aktualisiert im August 2021, um die Ergebnisse der Strategieüberprüfung 2020-2021 zu berücksichtigen.